Karlsruhe Moviemap, 1991 und 2009 Michael Naimark
Mittels eines auf einen Sockel montierten Fahrschalters kann der Betrachter in dem vor ihm projizierten Videobild eine Fahrt im weit ausgedehnten Schienennetz des Verkehrsverbundes Karlsruhe KVV simulieren. Dabei ist die Bewegung im dargestellten Raum auf vorwärts und rückwärts beschränkt, bis die Bahn zu einer Kreuzung kommt und die zusätzliche Möglichkeit besteht, nach links oder rechts abzubiegen. Die Höhe der Aufnahmen und der Projektion sind so abgestimmt, dass der Betrachter das Gefühl bekommen soll, im dargestellten Raum präsent zu sein. Die Bahn kann hierbei weit über die eigentliche Betriebsgeschwindigkeit des Fahrzeugs hinaus beschleunigt werden. Die Karlsruhe Moviemap wird hier in zwei Versionen gezeigt. Anders als die ursprüngliche Fassung von 1991 ist die Version von 2009 stereoskopisch – durch die Betrachtung durch eine 3-D-Brille erhalten die projizierten Straßenansichten einen stärkeren Eindruck von räumlicher Tiefe. Bei der Entwicklung einer Serie von Moviemaps, zu der auch die Karlsruhe Moviemap gehört, ging es Michael Naimark in erster Linie darum, eine neue Form der kinematografischen Erfahrung für den Betrachter zu schaffen – eine nicht lineare Wahrnehmung real gefilmter Bilder. Dennoch ist der Handlungsspielraum des Betrachters hier beschränkt. Bei der virtuellen Navigation handelt es sich laut Naimark nicht um Interaktivität, sondern um das Nachspüren einer durch den Künstler redigierten Reise. Das Schienennetz diente Naimark als vorgegebene redaktionelle Einschränkung für eine Installation, die die Geschichte der lokalen Stadtlandschaft erkunden sollte. Naimark arbeitete nach seiner Beteiligung an der in den späten 1970er-Jahren am Massachusetts Institute of Technology realisierten Aspen Moviemap an einer eigenen Serie von Moviemaps in verschiedenen Städten. Sein Interesse lag dabei laut eigener Aussage zum einen auf der Schaffung eines Gefühls von Präsenz beim Betrachter. Zum anderen waren ihm das Filmen realer Orte – im Gegensatz zur Schaffung virtueller Welten – und die Zusammenarbeit mit Menschen aus den jeweiligen Städten wichtig. Für sein Projekt Be Now Here (2000) gab Naimark Panoramaaufnahmen aus den Städten Jerusalem, Dubrovnik, Timbuktu und Angkor im ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe als navigierbare Panoramaprojektionen wieder und verhalf dem Betrachter so zu einer „immersiven“ Wahrnehmung der dargestellten Orte. Naimark studierte kybernetische Systeme und beschäftigt sich seit den 1970er Jahren mit Kinematografie, interaktiven Systemen und immersiven Projektionen. Konservatorische Maßnahmen Die 1991 produzierte Installation Karlsruhe Moviemap wurde zwischen 2006 und 2008 durch das ZKM und Michael Naimark grundlegend überarbeitet. 2009 fertigte das ZKM dann aus eigener Initiative und in Abstimmung mit dem Künstler eine neue Version der Arbeit an. Durch diese erhält das Werkkonzept der Karlsruhe Moviemap einerseits eine weitere Verkörperung, andererseits unterscheidet sich die zweite Version grundlegend von der ersten. In der Fallstudie wurde angestrebt, die Veränderungen an der Fassung von 1991 sowie nachträgliche Anpassungen zu dokumentieren. Die Fallstudie bietet darüber hinaus en seltenen Vergleich zwischen den Ergebnissen unterschiedlicher Erhaltungsstrategien: der Erhaltung der Hardware und der Migration einerseits, und der Re-Interpretation andererseits. Die ursprüngliche Version von 1991 nutzt als Informationsträger eine Laserdisc, ein optisches Speichermedium, das – im Gegensatz zur DVD – nur eine analoge Aufzeichnung und Wiedergabe erlaubt. Eine Rückprojektionsbox diente zur Darstellung der Straßenbahnfahrt und es existierte eine eigens für die Installation konstruierte Steuerung, die in einem Pult in Tischhöhe untergebracht war. Bis auf die bildgebende Komponente, die Rückprojektionsbox mit integriertem Projektor, wurden alle anderen Bestandteile, der Laserdisc-Player und der Steuerungsrechner, in diesem Pult untergebracht. Naimark verwendete den Computer (Apple IIsi) als intermediäre Instanz, um beispielsweise die durch den Betrachter mit der Steuerung ausgelöste Routenwahl per Laserdisc-Player wiederzugeben. Um auf ein verlässliches, robustes System vertrauen zu können, wurden zwischen 2006 und 2008 mehrere Veränderungen an der Version von 1991 durchgeführt. Anfällige Komponenten wurden ersetzt und teilweise ersatzlos gestrichen. Sowohl der Monitor als auch der Computer vom Typ Apple IIsi wurden ausgetauscht. Die ursprünglich eingesetzte Laserdisc erfuhr im Rahmen dieser Maßnahmen eine Digitalisierung; somit wurde der Einsatz des Laserdisc-Players hinfällig. Das Digitalisat wird nun in Form einer Videodatei (im QuickTime-Containerformat; siehe auch Samuel Rousseau Ohne Titel) direkt durch einen Apple Power Mac G5 wiedergegeben. 2009 wiederum produzierte das ZKM eine völlig neue separate Installation, die auf dem Konzept der ursprünglichen Karlsruhe Moviemap basiert. Abermals wurde das Schienennetz des Verkehrsverbundes Karlsruhe KVV aufgenommen. Hatte man 1991 noch 16-mm-Filmkameras genutzt, wurden 2009 die Aufnahmen mithilfe der Digitalfotografie bewältigt. Dem Betrachter ist es nun möglich, eine stereoskopische Reise durch das Streckennetz des KVV anzutreten, das von der Karlsruher Innenstadt bis hoch in den Schwarzwald führt. Zur Präsentation dieser Re-Interpretation kommen unter anderem zwei Videoprojektoren, eine Silberleinwand, 3-D-Brillen, eine neu konzipierte Steuerung mit originalem Straßenbahnsteuerhebel samt Touchscreen sowie eine am ZKM entwickelte Software (Panorama Display Software) zum Einsatz. Schwerpunkte dieser Fallstudie waren sowohl die nachträgliche Dokumentation der mehrfachen Weiterentwicklungen der Version von 1991 als auch die Dokumentation der Neukonstruktion von 2009. Hinsichtlich der Version von 1991 wird auch die Erhaltung werkrelevanter Materialien, wie zum Beispiel des originären Kamerabandes oder der Laserdisc, vorangetrieben. Die Verfolgung der Strategie der Hardwareerhaltung ist im Falle dieser Arbeit unter anderem deshalb besonders wertvoll, weil diese Aufnahmen aus dem Jahr 1991 beinhaltet und das Werk dadurch auch einen dokumentarischen Charakter hat, der durch seine Re-Interpretation in der Version von 2009 nicht erhalten werden konnte.
Fotos: ONUK
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