Raoul Pictor cherche son style..., 1993 Hervé Graumann
Auf einem Computerbildschirm spielt sich das kreative Leben des fiktiven animierten Malers Raoul Pictor ab. Der Blick in sein Atelier zeigt den an seiner Baskenmütze und dem Halstuch erkennbaren Künstler bei der Arbeit. Er schreitet im Raum auf und ab, stöbert in einem Buch, um Inspiration zu schöpfen, und macht sich schließlich an einer von hinten sichtbaren Leinwand auf einer Staffelei ans Werk. Zu einem für den Betrachter nicht absehbaren Zeitpunkt läuft Raoul Pictor mit seiner fertigen Leinwand aus der Bildfläche heraus. Aus der virtuellen Ebene schreitet das Werk in die Realität des Ausstellungsraums hinüber: Mit einem Farbdrucker wird die Grafik gedruckt. Es handelt sich um ein Unikat, das kurz vor dem Druck vom Programm per Zufallsprinzip aus einer Fülle aus möglichen Motiven und Farben erstellt wird. Nachdem der Druckbefehl vom Programm automatisch erteilt worden ist, existiert auf dem Rechner keine Datei mehr zu diesem Werk, das dadurch zu einer einmaligen kreativen Schöpfung wird. Dementsprechend ist der Farbausdruck signiert, datiert und nummeriert und kann vom Besucher mitgenommen werden. Die lateinische Signatur des Malers ist ein humorvoller Rückgriff auf die Renaissancemalerei, die das Konzept der Autorenhand prägte. Der Schweizer Künstler Hervé Graumann, der in Genf Kunst studierte und heute dort als Dozent tätig ist, wurde von den das Werk konstituierenden Geräten zur Konzeption von Raoul Pictor cherche son style ... inspiriert. Der in der Ausstellung präsentierte Computer, an dem Graumann das Programm selbst entwickelte, erschloss sich ihm laut eigener Aussage zusammen mit Farbbildschirm und Farbdrucker als perfektes Werkzeug, mit dem sich auf neue Weise Kunst schaffen lässt. Die Figur eines fiktiven, „automatisch“ tätigen Künstlers hat Graumanns Ansicht nach auch heute noch ihre Berechtigung. Fast zwanzig Jahre nach der Entstehung der Figur des Raoul Pictor verhalf der Künstler ihr durch die Übertragung des Werks in die aktuelle Technologie der iPhone-App zu einem Nachleben. Konservatorische Maßnahmen Das Erscheinungsbild der Originalversion ist durch den ursprünglichen Bildschirm (CRT-Monitor) und den Tintenstrahldrucker, die in einer vom Künstler eigens angefertigten Vitrine für den Betrachter sichtbar sind, geprägt. Der Arbeitsplatzrechner bleibt bei dieser Präsentation verborgen. Ein Ausfall und ein eventuell dadurch nötig werdender Austausch des Bildschirms und des Druckers durch aktuellere Modelle würden das authentische Erscheinungsbild der Installation gefährden. Um diesem Verlust zu begegnen, wurde im Rahmen der Fallstudie die Erhaltungsstrategie der Bewahrung der Hardware, auch hardware preservation (Definition siehe Glossar) genannt, ausgewählt. Computer, Monitor und Drucker sind, obwohl sie seit mehreren Jahren nicht mehr hergestellt werden, dank ihrer weiten Verbreitung auf dem damaligen Verbrauchermarkt heute noch im Gebrauchtwarenhandel erhältlich und können von der Sammlung des FRAC Alsace angekauft werden. Allerdings ist zu beachten, dass diese technischen Bestandteile nur eine begrenzte Lebenserwartung haben. Zusätzlich zum Ankauf und zur Vorratshaltung von Ersatzgeräten ist die Erstellung einer Sicherungskopie der Festplatte notwendig, um das Risiko der Datenbeschädigung oder gar des Datenverlusts einzugrenzen. Hierbei ist eine redundante Datensicherung zu empfehlen (Definition siehe Glossar). Parallel zu den Bemühungen des FRAC Alsace um die Bewahrung des Werks hat der Künstler selbst Maßnahmen ergriffen, um sein Werkkonzept zu konservieren. Ursprünglich wurde das Werk von Graumann mit dem Autorensystem Macromedia Director erstellt. Nach Anfertigung einer Webapplikation im Jahr 2006, für die Graumann die Programmiersprache ActionScript anwandte, folgte 2009 die Umsetzung als App für das Apple iPhone. Hier für beanspruchte der Künstler die Dienste eines Programmierers. Die hier verfolgte Erhaltungsstrategie wird als Re-Interpretation bezeichnet: Das Werkkonzept wird dabei anhand unterschiedlicher Technologien in einer neuen Form realisiert. Ein Vorteil dieser Strategie ist, dass durch die Hardware bedingte Erhaltungsprobleme umgangen werden können. Allerdings geht die Re-Interpretation oft mit einem Verlust der authentischen Funktion und Erscheinung des Werks einher.
Fotos: ONUK
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